Private Macht & rivatrechtliche Gestaltungsfreiheit

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Private Macht ist immer wieder Anlass und Rechtfertigung privat- und wirtschaftsrechtlicher Regelsetzung und Rechtsfortbildung durch Gesetzgeber und Gerichte. Ein prominentes Beispiel ist die Bürgschaftsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Gesetzgeber und Gerichte zum Schutz schwächerer Vertragspartner verpflichtet, weil „die Vertragsfreiheit nur im Falle eines annähernd ausgewogenen Kräfteverhältnisses der Partner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs“ tauge (BVerfGE 89, 214). Im Urhebervertragsrecht sollen Machtgefälle zwischen Urhebern und Verwertern durch Verwertungsgesellschaften ausgeglichen werden. Ein weiteres Beispiel ist das Arbeitsrecht: Private Macht definiert dieses Rechtsgebiet letztlich sogar („abhängige Beschäftigung“), determiniert jedoch zugleich zahlreiche Einzelfragen, etwa im Kollektivarbeitsrecht, wo soziale Mächtigkeit als Voraussetzung für die Anerkennung als Gewerkschaft gilt. Auch in Organisationen und Verbänden begrenzt der Privatrechtsgesetzgeber private Macht in ihren unterschiedlichen Formen: So gehören Mehrheitsmacht und Beherrschungsbegriff zu den zentralen Tatbeständen des Gesellschafts- und Konzernrechts und finden neuerdings im Kontrollbegriff des Übernahmerechts eine konzeptionelle Parallele. Für das kapitalmarktrechtliche Verbot der Marktmanipulation liegt die Ähnlichkeit zu den Machtbegrenzungsmechanismen des Kartellrechts auf der Hand.

Im Gegensatz zum kartellrechtlichen Marktmachtbegriff ist das privatrechtliche Konzept privater Macht bislang wenig konturiert und verbirgt sich hinter den unterschiedlichsten und ihrerseits vagen Begriffen wie „strukturelle Ungleichgewichte“, „gestörte Vertragsparität“, „Abhängigkeit“ oder „wirtschaftlich-soziale Mächtigkeit“. Neben wirtschaftlichen, marktorientierten Kriterien sind offenbar vielerlei weitere Machtquellen zu bedenken (soziale Abhängigkeit, Öffentlichkeit, Legitimation). In der Praxis werden gleichwohl teils kartellrechtliche Abgrenzungen deckungsgleich übernommen, etwa wenn der Bundesgerichtshof die Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB an das Vorliegen einer Monopolstellung knüpft. Regelmäßig bedarf es jedoch eigenständiger privatrechtlicher Wertungen: Während Marktmacht die Struktur ganzer Märkte in den Blick nimmt, richtet sich das privatrechtliche Augenmerk stärker auf die relativen Machtverhältnisse zwischen zwei spezifischen Vertragspartnern, etwa auf deren wirtschaftliche oder intellektuelle Waffengleichheit, teils unter Rückgriff auf Typisierungen. Diese Eigenständigkeit zeigt sich vielleicht besonders anschaulich an der Entwicklung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: Während die Inhaltskontrolle ursprünglich nur auf Klauseln von Monopolisten Anwendung fand, erstreckt sie sich seit langem darüber hinaus auf alle für eine Vielzahl von Verträgen gestellten Geschäftsbedingungen und knüpft damit an strukturelle Informationsungleichgewichte in Vertragsbeziehungen. Hinzu tritt neuerdings, nicht zuletzt aufgrund europäischer Einflüsse, das Leitmotiv des Schutzes der Verbraucher vor der typischerweise stärkeren Verhandlungsmacht von Unternehmern.

Während einzelne Formen von Marktversagen, insbesondere bestimmte Formen von Informationsasymmetrien, umfassend untersucht und diskutiert werden und auch das kartellrechtliche Konzept der Marktmacht gründlich fundiert erscheint, behandelt die Privatrechtswissenschaft das Phänomen privater Macht bislang eher stiefmütterlich und jedenfalls nicht umfassend. Die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Fallgruppenbildung bleibt vorerst unscharf, Abgrenzungskriterien fehlen ebenso wie eine gebietsübergreifende System- und Prinzipienbildung. Klärungsbedürftig ist der Einfluss privater Macht auf das Funktionieren von Märkten, zumal Canaris das Fehlen einer elaborierten spezifisch juristischen Theorie des Marktversagens anmahnt (vgl. AcP 200 [2000], 273, 293). Umgekehrt bildet die Einräumung bestimmter, teils sogar absoluter Machtpositionen das Fundament zentraler privatrechtlicher Institutionen: Ohne Eigentum sind Märkte undenkbar; ohne die Zuweisung von Direktionsrechten können Organisationen nicht funktionieren. In diesem Spannungsfeld tut juristische Grundlagenforschung Not, und zwar aus dogmatischer, aber auch aus rechtspolitischer Perspektive. Als Auslöserin (un-)mittelbarer Drittwirkung kann private Macht den deutschen und europäischen Gesetzgeber schließlich sogar zu legislativen Eingriffen zwingen, um zentrale Verfassungswerte wie Grundrechte und Grundfreiheiten zu schützen. Fünfzig Jahre nach der gesetzlichen Fixierung des kartellrechtlichen Marktmachtbegriffs ist es deshalb an der Zeit, für das Privatrecht ein stimmiges Konzept privater Macht zu entwickeln.